aus / from: Frankfurter Rundschau, 10. Februar 1990

Detlef Kinsler

Legende Moondog
Die Kultfigur macht Furore


In den Sechzigern belebte Louis Hardin alias Moondog das New Yorker Straßenbild, indem er regelmäßig als Wikinger-Krieger verkleidet an der Ecke 54. Straße und 6th Avenue seine Gedichte und Kompositionen verkaufte. Eine Kultfigur, die in den verschiedensten Kreisen verehrt wurde, von Jazz-Fans genauso wie von Folk-Freaks, von Klassik-Liebhabern nicht minder wie von Avantgard-Anhängern. Einer, der eine ganz eigene musikalische Sprache entwickelte, die sich für ihr Vokabular wie selbstverständlich aus allen Stilen und Epochen bediente, dabei aber gleichzeitig traditionell und innovativ war.

Seine eingefleischten Fans sahen den im Alter von 16 Jahren erblindeten Komponisten und Percussionisten einmütig als künstlerischen Revolutionär. Moondog war in seiner Selbsteinschätzung immer bescheidener. "Vielleicht klingt meine Musik in manchen Ohren nur so revolutionär, weil sie eigentlich total konservativ ist," ließ er einmal verlauten.

Im vergangenen Herbst jedenfalls erinnerten sich seine amerikanischen Landsleute anläßlich der Konzerte zum zehnjährigen Bestehen der "New Music America" an den Emigranten, der in den Siebzigern im Ruhrgebiet seine neue Heimat gefunden hatte. Teile seines Werkes, das schlichte Songs genauso wie stundenlange Orchesterwerke enthält, wurden vom Brooklyn Philharmonic Orchestra aufgeführt.Und obwohl auch die Kritiker-Lieblinge Philip Glass und Steve Reich bei den Galas zu hören waren, wurde vor allem die Wiedergeburt des inzwischen 73jährigen gefeiert.

Dem kleinen Bochumer Roof Music-Label blieb es aber vorbehalten, trotz all des Wirbels jenseits des Großen Teiches, drei von Moondogs Meisterwerken für CD neu aufzulegen. Die zeitlos schöne Musik, die vor gut zehn Jahren eingespielt worden ist, ist dabei einzeln wie auch im Iimitierten Dreierpack als "Tonality - All The Way" erhältlich. Die Trilogie enthält Hardins Klassiker "A New Sound of An Old Instrument", "Moondog In Europe" und die "H'Art Songs".

Die Kompositionen auf "New Sound" hat Moondog für Kirchenorgel und Rhythmusinstrumente geschrieben, "In Europe" lebt von differenzierten Arrangements für Streicher und "H'Art Songs" stellt ein sehr individuelles Songkonzept und den weißhaarigen, bärtigen, stolzen Mann als grandiosen Sänger mit jugendlichem Charme vor, der Poesie mit politischem Engagement und sozialem Bewußtsein verknüpft. Daß Moondog nach wie vor aktiv ist, belegt die Tatsache, daß er auf Stephan Eichers aktueller LP "My Place" (die Rock-Rundschau berichtete) zu hören ist.