WAZ, 5.2.1994

Christopher Onkelbach

Wilde Strenge
Neues von Moondog: A. Sax


Sein neues Album widmet Moondog dem Erfinder des Saxophons, Adolphe Sax. Seine verschmitzt doppelbödigen Stücke nennt er "Zajas" - Jazz mit Januskopf, Musik mit zwei Gesichtern.

Schon die Besetzung auf "A. Sax" ist ungewöhnlich: Neun Saxophonisten, vier Percussionisten, Piano und Contra-Bass. Die Musik, die dieses Ensemble hervorzaubert, klingt zunächst wie traditioneller Jazz. Doch plötzlich kommt die Sache ins Stolpern, die Melodie verhaspelt sich, die Stimmen überholen und verschachteln sich.
Was den Eindruck kaum gebändigter Improvisation erweckt, ist streng geformt. Louis Hardin alias Moondog komponierte in der Form der klassischen Chaconne oder des bis zu 36stimmigen Kanons.
Schon in seinen früheren Arbeiten suchte er, der aus New York stammt und in Oer-Erkenschwick lebt, in der formalen Strenge die Freiheit der Musik. Konsequent folgt er den kontrapunktischen Regeln alter Meister. Auf dieser Basis vermag er schillernde Harmoniegebilde zu errichten, die von atemberaubender Schönheit sein können. Eine Musik, die zwischen Jazz, Pop und klassischer Kammermusik schwebt.
Doch unter dem zerbrechlichen Tongebäude vibriert stets der uralte Indianer-Rhythmus, der Walkin- oder Running-Beat. Als kleiner Junge durfte Moondog im Indianer-Reservat auf dem Schoße von Häuptling Yellow Calf die große Sonnentanz-Trommel schlagen - diesen Ur-Rhythmus bewahrt er, und der dumpfe Paukenschlag vermag seiner Musik den Atem einzuhauchen, den das Korsett der strengen Komposition ihr zu nehmen droht.
Mit der Hilfe des britischen Saxophon-Ensembles "The London Saxophonic" läßt Moondog zusammenwachsen, was Strenge und Wildheit, Geist und Ursprünglichkeit von der Musik verlangen, und er hat dabei durchaus keine Angst vor musikalischer Ironie. Moondog breitet vor dem Hörer ein Netzwerk von Melodien aus, die trotz ihrer kompositorischen Fesseln zu tanzen vermögen.