Webereizeitung, Gütersloh, Februar 1994

Moondog: Die Magie der Zahlen



Oer-Erkenschwick (gil) - Seit 20 Jahren lebt Louis Hardin alias Moondog in Deutschland. Sein neues Album hat der Perfektionist dem Erfinder des Saxophons gewidmet. MUSIKWoche sprach mit dem begnadeten Komponisten, der im Zuge seiner Musikstudien einen Beweis für die Existenz Gottes entdeckt haben will.

"Ich bin jetzt 77 Jahre alt und fühle mich wie mit 20 - ich halte meinen Körper fit, weil ich jeden Tag 1000 Meter laufe, 120mal auf dem Balkon hin und her." Louis Hardin macht einen glücklichen Eindruck. Kein Wunder: Endlich findet er die Anerkennung, die er als einer der brillantesten und eigenwilligsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts verdient hat. Dazu mußte der seit seinem 16. Lebensjahr blinde Künstler, der sich Moondog nennt, zunächst einmal gut 25 Jahre lang als Obdachloser mit Wikingerhelm und Speer an der Ecke 54. Straße/6. Avenue in New York stehen und zur Begleitung einer Indianertrommel seine Lieder singen. Ende der 60er Jahre nahm er für CBS zwei Platten mit Mini-Sinfonien, Ballett- und Kammermusik und Jazz auf, die ihm auf immer einen Ehrenplatz in der Ruhmeshalle der Musik sicherten. Dann wurde er 1974 für ein Konzert beim Hessischen Rundfunk eingeladen. Er blieb in Deutschland, und danach sah man ihn häufig in den Straßen von Frankfurt oder Hannover. "Ich liebe Deutschland, es geht mir prächtig hier. In diesem Februar ist es übrigens genau 20 Jahre her, daß ich in Deutschland ankam." Ein festes Dach über dem Kopf fand Moondog nach all den Jahren ausgerechnet in Oer-Erkenschwick im Ruhrgebiet. Dort kümmert sich Ilona Goebel - "she is my eyes" - um ihn. Die einstige Geologiestudentin traf Moondog auf der Straße, kam mit ihm ins Gespräch, hörte seine Musik und widmete sich fortan ausschließlich der Aufgabe, Moondogs Leben und Werk zu fördern. Und das tat sie mit nicht geringem Erfolg. Sie kümmert sich ums Management des Komponisten, schreibt die umfangreichen Partituren, die er ihr in ungeminderter Kreativität regelmäßig diktiert; sie hält den Kontakt zur Plattenfirma Roof Music in Bochum und vermittelt auch Auftritte. Wenn es nach Moondog ginge, dann würde der markante Wikinger mit seinem langen weißen Rauschebart trotz seines Alters am liebsten so oft wie möglich auftreten. Aber die Bedingungen müssen stimmen: "Ich bin ein absoluter Perfektionist und nie zufrieden. Meine Standards sind so hoch, daß ich nur äußerst selten Musiker finde, mit denen ich arbeiten kann."
Einer dieser Kollegen ist der Schweizer Rockmusiker und Moondog-Verehrer Stephan Eicher. Ein anderer ist der englische Bassist Danny Thompson - "mit ihm möchte ich in diesem Jahr eine Platte aufnehmen". Und dann gibt es noch The London Saxophonic: Mit diesem 15köpfigen Ensemble hat Moondog sein neues Album, "A. Sax", eingespielt, eine glänzende Hommage an Antoine Joseph (genannt Adolphe) Sax, den belgischen Erfinder des Saxophons, dessen Todestag sich am 4. Februar zum hundersten Mal jährt. Neun Saxophone, dazu Perkussion, Baß, Klavier und Gesang (unter anderem von Peter Hammill) spielen Musikstücke, die jazzig swingen und dabei trotzdem nach strengen klassischen Regeln aufgebaut sind, die Moondog seit jeher verficht. "Wenn die Regel lautet, daß jede Regel da ist, um gebrochen zu werden, dann breche ich genau diese und sage: Die Regeln dürfen nicht gebrochen werden." Moondog ist nicht nur Perfektionist, sondern auch ein Meister seines Metiers. So komponierte er in jahrelanger Arbeit einen 1000stimmigen Kanon und ein Werk mit dem Titel "Die Schöpfung", das neun Stunden dauert. Und er betont: "Zahlen sind der Ursprung, die Wurzel aller Dinge. Ihre Gesetze spiegeln sich im Universum ebenso wider wie in der Musik. So wie es einen genetischen Code gibt, existiert auch ein Code für die Existenz des gesamten Universums. Ich habe ihn gefunden." Wie das? "Durch das Studium der Obertöne, genauer, im neunten Obertonbereich. Und dieser Code beweist: Gott existiert."