Unermittelte Zeitschrift vom Oktober 1994

Claus Biegert:
Miraculix lebt



Totgesagte leben länger: Als er 1989 nach 15 Jahren wieder in New York auftauchte, erschienen die Journalisten mit alten Photos zum Interview: Sie wollten sicher sein, nicht einem Double auf den Leim zu gehen. Doch er war es: Moondog. die Legende lebte. Der blinde Musiker, der in den 60ern mit Philipp Glass und Steve Reich Platten aufnahm und eigenwillige Minimalmusik machte, war scheinbar aus dem Nichts zurückgekehrt. In Manhattan war der Mondhund mit dem schlohweißen Haar und dem Nikolausbart berühmt geworden. Mit Helm, Speer und bizarren, selbstgeschneiderten Kleidern stand er immer an der gleichen Ecke, 54. Straße und Sixth Avenue, rezitierte eigene Verse und schlug eine dreieckige Trommel - die Lektüre des nordischen Epos "Edda" hatte ihn zum Wikinger werden lassen.
Moondog heißt eigentlich Louis Hardin und wuchs auf einer Farm in Wyoming auf. Mit 16 verlor er bei einer Explosion das Augenlicht. Auf der Blindenschule, lernte er Orgel, Piano, Viola und Violine und begann zu komponieren. 1943 ging er nach New York, "um die Töne der Welt zu hören".
Moondog lauschte bei den Proben berühmter Orchester und nahm bald selbst Platten auf, Jazziges, Symphonien, Madrigale, sogar ein Kinderlieder-Album mit Julie Andrews. 1974 verlor die Straßenecke in Manhattan ihr Wahrzeichen. Auf Einladung des Hessischen Rundfunks ging Moondog nach Deutschland - und blieb. Er wurde in einem Ort namens Oer-Erkenschwick im Ruhrgebiet heimisch und veröffentlichte fünf Alben mit seiner kargen, konzeptionellen Musik.
Am Freitag, 21 Uhr, tritt der 78jährige Moondog zusammen mit dem 11köpfigen "London Saxophonic" in der Münchner Muffathalle auf.