Manuskript der Sendung von Karl Bruckmaier über Moondog, die am 4. April 1990 im Bayerischen Rundfunk zu hören war. Das Manuskript erschien in der Manuskriptsammlung "Pop-Alphabet. Die ersten zwei Jahre 1989/1990. Fan-Lexikon mit Diskographie und Angaben zu Hörbeispielen, München, Bayerischer Rundfunk, 1991, p. 276-280.

Dank an Karl Bruckmaier, der uns eine Kopie des Manuskripts zur Verfügung stellte.

Seine Homepage ist zu erreichen unter www.le-musterkoffer.de.


Moondog (4.4.90)

THEMABAND

Heute: Moondog alias Louis Thomas Hardin, über 1,90 m groß, weißes, langes Haar, weißer Vollbart, bodenlanges Gewand.

MOONDOG: THEME

"Diese Komposition wurde 1952 zu ersten Mal aufgenommen. Sie heißt nicht nur THEME, es ist mein THEME, mein Thema, meine musikalische Unterschrift ..."
Louis T. Hardin wird 1916 in Kansas geboren. Er wächst in Wyoming auf und geht in Missouri zur Highschool. Vater Hardin ist Prediger und Farmer, den es nie lange an einem Platz hält. Mit fünf Jahren spielt Louis Hardin zum ersten Mal mit Percussionsinstrumenten herum und zwar in einem Indianerreservat bei einer Sonnen-Zeremonie. An der Highschool nimmt er Schlagzeug-Unterricht. Mit 13 hantiert er mit Dynamit. Eine Zündkapsel explodiert und Louis Hardin wird blind. Er schließt seine Highschool-Ausbildung auf einer Blindenschule ab, auf der er Unterricht erhält in Geige, Orgel, Klavier und Musiktheorie. "Aber eigentlich ist alles, was ich über Musik weiß, selbst erlernt. Ich habe jedes verfügbare Braille-Buch über Musik gelesen und gehört, gehört, gehört. Musik findet in meinem Kopf statt. Meine Kompositionen schreibe ich ohne ein Instrument zu benutzen."

MOONDOG: MAYBE

1943 geht Louis Hardin nach New York, um dort seine Musik zu veröffentlichen. Neben der oben beschriebenen Tracht trägt er noch einen Speer und einen Wikingerhelm. Er stellt sich jeden Tag in die 52nd Street, damals Zentrum des Bebop, trommelt, sagt seine kurzen Gedichte auf, verkauft Abzüge seiner Kompositionen. Die Musiker werden schnell auf ihn aufmerksam. Benny Goodman trifft sich mit Hardin, Leonard Bernstein nimmt ihn mit zu Toscanini und den New Yorker Philharmonikern. 1947 legt sich Louis T. Hardin den Namen Moondog zu, in Erinnerung an einen seiner Hunde, der besser den Mond anheulen konnte, wie jeder andere Hund. Einer von Moondogs regelmäßigen Gesprächspartnern ist Charlie Parker, dem Moondog eine Komposition widmet, als er von Parkers Tod hört. Obwohl es stellenweise wie Jazz klingt, ist die gesamte Musik auskomponiert, da Moondog bis heute alles ablehnt, was über tonale Musik hinausgeht und seine strengen Vorstellungen von Wohlklang und Gesetzmäßigkeiten der Musik verletzen könnte. 12-Ton-Hasser
Moondogs Komposition LAMENT 1 - BIRD'S LAMENT

MOONDOG: LAMENT 1

Anfang der fünfziger Jahre werden erste Aufnahmen von Moondogs Musik gemacht. Er steht aber weiterhin auf den Straßen New Yorks herum und wird zu einer Art Sehenswürdigkeit. Musikalisch findet Moondog seine Form: den Kanon, eine Form, der er fast alle seine Kompositionen unterwirft. Und Moondog ist produktiv: Sein 50er Jahre Output wird auf mehr als 500 Titel geschätzt.
Das Faszinierende an Moondogs Musik: die Strenge, der Kontrapunkt, die Orgel, die nordische Märchenwelt auf der einen Seite, die fröhliche Rhythmisierung, die Naivität, die Kindlichkeit von Abzählreimen und Merksätzen auf der anderen.

MOONDOG: REMEMBER (Track 19)

Ende der sechziger Jahre wird Moondog von den Hippies vereinnahmt, seine frühen Platten als willkommene Kiffer-Musik mißverstanden, so wie heute versucht wird, ihn als Minimal Musiker oder New Age Komponisten einzuordnen. Aber wie der Igel muß Moondog darauf bestehen, schon früher dagewesen zu sein. In der Plattenbranche wurde man auf den seltsamen Wikinger ein zweites Mal - nach den frühen 50ern - aufmerksam, als Janis Joplin mit Big Brother & The Holding Company einen seiner Kanons aufnahm: All is Loneliness...

JOPLIN: ALL IS LONELINESS

1969 holte CBS Moondog ins Studio, wo er mit Musikern wie Hubert Laws oder Ron Carter eine wunderbare LP mit Mini-Symphonien und Ballettmusiken aufnahm; das vorhin gehörte Bird's Lament war aus diesen Sessions. 1971 folgt eine LP mit Tochter June, aus der die bereits gehörte Kurz-Rondos stammen, 26 insgesamt, komponiert zwischen 1951 und 1968. Mitte der siebziger Jahre wird Moondog nach Deutschland eingeladen, um bei Aufführungen seiner Werke zu helfen. Moondog bleibt einfach hier. Er lernt in Recklinghausen auf der Straße seine zukünftige Managerin kennen, die den blinden, alten Mann quasi adoptiert, alte Tantiemen einfordert, die neuen Kompositionen verlegt und sich um Plattenaufnahmen kümmert.

STORFINGER & MOONDOG: IN VIENNA

Drei LPs erscheinen in relativ kurzem Zeitraum: MOONDOG IN EUROPE, die Orgel-Platte A NEW SOUND OF AN OLD INSTRUMENT und die Kunstlied-LP H'ART SONGS, auf der Moondog von seinem Vorfahren, dem Banditen John Wesley Hardin erzählt und das Lied vom Edelweiß in eine neue wahnwitzig-amerikanische Form bringt. Erst ist man entsetzt über die Edelweiß-Schnulze, doch dann bricht das Herz ...

MOONDOG: HIGH ON A ROCKY LEDGE

Zusammengestellt aus den europäischen Platten erscheint in den USA eine Moondog-LP bei der Musical Heritage Society, dann wird es wieder stiller um den Wikinger im Exil. Aber er lebt noch immer (April 90) im Ruhrgebiet, ist 1989 zu Konzerten in New York gewesen und bei einem Festival neuer Musik in Rennes aufgetreten. Dort hat ihn der schweizerische Sänger Stephan Eicher gehört, hat sich hinter die Bühne geschlichen, als Journalist ausgegeben und mit Moondog gesprochen. Schließlich hat Eicher Moondog gebeten, einige Kompositionen für die Eicher-LP My Place durchzusehen. Moondog hat zugestimmt und auf der CD-Version von My Place ist eine Instrumental-Version des schweizerischen Traditionals GUGGISBERGLIED zu hören, die Moondog verantwortet und wo er im Hintergrund etwas mitscheppert.

EICHER: GUGGISBERLIED (INSTR.)

Eicher berichtet, daß Moondog in den letzten Jahren mehr als 25 Symphonien komponiert hat, die auf ihre Aufführung warten, dazu Mammutwerke für 100 Alphörner und ähnliches. Wie singt Moondog so richtig: "Ich bin in dieser Welt, aber ich bin nicht von dieser Welt."

MOONDOG: CRESCENT MOON MARCH

Ausgewählte Diskographie
MOONDOG: Moondog (Columbia MS7335)
MOONDOG: Moondog 2 (mit obiger LP als CD bei CBS: MK 44994)
MOONDOG: In Europe (Kopf/Managarm RRF 33014)
MOONDOG: H'Art Songs (Kopf/Managarm RRF 33016)
MOONDOG: A New Sound... (Kopf/Managarm RRF 33017)
MOONDOG: Instrumental Music (Musical Heritage Society 3803)
STEPHAN EICHER: My Heart On My Back (CD-Maxi Mercury 873567-2)