Am 26. Mai dieses Jahres ist Louis Hardin, alias Moondog, achtzig geworden. Sein Bewunderer Paul Simon hatte ihn in den siebziger Jahren totgesagt. Nun ist eine neue CD erschienen: "Big Band".
In der Landschaft der zeitgenössischen Musik steht er da wie ein Findling, ein erratischer Block: Er komponiert absolut tonale Musik, hat 300 Madrigale geschrieben, und zu seinen Obsessionen gehört die Kontrapunktik, von der er sagt, dass - im Gegensatz zu Bach, Palestrina, Mozart und Haydn - er der sorgfältigste aller Komponisten sei.
Von verschiedenen Seiten hat man ihn zu vereinnahmen versucht. Janis Joplin nahm mit Big Brother and the Holding Company sein Madrigal "All Is Loneliness" auf - Moondog empfand es als Verhunzung. Steve Reich und Philip Glass beriefen sich auf ihn als "Begründer des Minimalismus": "Das bin ich nicht. Rhythmisch kann ich akzeptieren, was sie machen, aber nicht melodisch oder harmonisch. Doch als Personen mag ich sie gern." Für Freund Stephan Eicher hat er das "Guggisberg-Lied" sehr schön arrangiert, Eicher machte ein Konzert mit dem Winterthurer Stadtorchester möglich, schob sich dann aber unappetitlich selber in den Vordergrund. Eicher hat Moondog gezeigt, wie ein Sampler funktioniert, was dessen bisher ödestes Werk, die CD "Elpmas", nach sich zog.
Doch dann lud 1991 der ehemalige Pentangle-Bassist Danny Thompson den blinden Komponisten nach England ein, wo dieser den virtuosen Saxophonisten John Harle kennenlernte, der mit seinen Studenten mehrere Werke Moondogs zur Aufführung brachte. Dies führte dann zur Aufnahme von "Sax Pax for a Sax" (Kopf/kd 943333) mit Kompositionen in einem Stil, den Moondog "ZAJJAZ" nennt: "Ein Ausdruck für die Janusköpfigkeit dieser Art von Jazz. Das eine Gesicht blickt in die Richtung des Kontrapunkts, denn so sind die Stücke komponiert, und das andere blickt in die Richtung des alten New Yorker Jazz und der indianischen Rhythmen."
Auf "Sax Pax" ist auch "Bird's Lament" zu hören, das Moondog nach Charlie Parkers Tod geschrieben hat. Die beiden kannten sich aus der Zeit, als Moondog in New-York an Strassenecken auf selbstgebauten Trommeln spielte und seine Gedichte verkaufte. Parker wollte mit ihm gar eine Platte aufnehmen, doch dann starb er. Das neue "Bird's Lament" ist viel langsamer gehalten als auf der legendären Platte "Moondog" (CBS MK 44994) aus dem Jahr 1969, und dadurch wird diese Klage um einen verstorbenen Freund noch berührender.
Moondog ist ein naiver Künstler, man hat ihn mit Le douanier Rousseau verglichen, und "naiv" ist eben nicht dasselbe wie "dilettantisch": Rousseau hatte eine Palette von Grüntönen, die akademisch ausgebildete Maler vor Bewunderung erstarren liess, und auf Moondogs neuer CD "Big Band" ist unter anderem ein 25stimmiger Kanon zu hören. Nicht immer ist der Geschmack von Mr. Hardin einwandfrei: ob der Banalität des Textes von "Paris" kräuseln sich Sprachkundigen die Zehennägel. Umgekehrt gehören die Chaconnen "You Have to Have Hope" und "Reedroy" mit virtuosen Soli von Gareth Brady und John Harle zum Begeisterndsten, was von Bläsergrossformationen zu hören ist.