aus / from: Weinheimer Nachrichten, 18. Januar 1974


Ein Maler aus Italien und Odin aus Amerika

(VK) Ein tolles Spektakel, diese seit gestern in der Volksbank ausgestellten Bilder des Italieners Gigino Falconi: Foto-Realismus reinsten Wassers, so wie wir ihn seit der Documenta V von 1973 kennen - naturgetreu, hautgetreu, - beinahe duftgetreu. Mädchen, Autos, Männer, wie mit der Kamera im Schnappschuß festgehalten. Da stimmt jede Haarsträhne und jede Bewegung, jedes Lächeln und jeder Blick. Doch nein ... mit dem Blick, mit den Augen dieser Mädchen und Männer, die auf keinem der Bilder dem Betrachter jemals zugewandt sind, fängt das besondere Erlebnis einer zunächst poppig realistischen Aussage an, mysteriös und psychologisch undurchsichtig zu werden. Die Wirklichkeit, je weiter wir sie in der Manier Falconis zu verfolgen suchen, entzieht sich, eigentümlich verfremdet. Einerseits erscheint sie durchsichtig rosa und violett gefärbt, wie ausgeblichen, andererseits hüllen sich die Szenen in tiefe, müde, wehrlose Traurigkeit. Die Titel Falconis (aus dem Italienischen übersetzt) geben einen Begriff davon: "Das Ungewisse", "Die Tage gehen", "Müdes Warten". Morbidezza fürwahr.

Die Nähe zum Sentimentalen ist oft so knapp, als könnte man sie mit Händen greifen, beim "Danach" etwa (einer Abschieds-Zerr-Szene so beiläufig wie penibel, so herzzerreißend wie brutal vor den Beschauer hingeknallt), oder aber zum Beispiel, wie beim "Blick ohne Halt". Jedoch die abgewandten Augen, der durch grünspiegelnde Sonnenbrillen, durch Balken, die ins Bild hineinragen, durch merkwürdig gewundene Kabel-Lianen verdeckte Blick und irgendetwas Bösgemeintes hinter dieser imaginären Süße der Farben, macht eher nachdenklich und betroffen als, ob jener dekadenten Rührseligkeit, hochnäsig amüsiert.

Natürlich - Pop stand Pate - fehlt nicht eine gehörige Portion jener abgekarteten Mutwilligkeit, die durchaus mit Könnerschaft, nicht unbedingt jedoch mit Kunst zu tun hat. Gemeint ist: es fehlt nicht an Gags. Perspektiven, wie von Weitwinkelobjektiv und Hohlspiegel inspiriert, jagen das Vorstellungsvermögen des Betrachters vor und zurück, schicken die Fantasie eine Diagonale hinauf schräg nach oben, um sie schließlich foppend, wie durch ein Froschauge gesehen, über den magisch-großen, rosa Zehennägeln eines Mädchens fallen zu lassen.

Was ursprünglich unter Fotorealismus verstanden wurde, die Beschäftigung mit der faktischen Wirklichkeit, die jede Pore der Haut, jedes Härchen getreulich und wie erstorben wiedergab, kam aus Amerika: Die spiegelnden Läden von Estes, Don Eddy, Cottingham nicht zu vergessen, die geradezu mit den Ausstellungsbesuchern verwechselbaren, lebensgroßen, aus Kunststoff und Originalkleidungsstücken angefertigten Figuren Hansons. Die europäische Version zaubert eine verwandelte, distanzierte Realität, treibt ein illusionistisches Spiel mit trickreich und nur scheinbar "schnappgeschossen" dargestellten Ängsten und Wünschen, in denen sich vielleicht schon, Auflösungserscheinungen und Abgesang dieser Schule, eine neue Form-Erfindung anbahnt.

Ein tolles Spektakel, diese Ausstellungseröffnung in der Volksbank. Unter den Gästen der Düsseldorfer Galerist Hanns H. Heidenheim, der die Einführungsrede hielt und, geführt von seiner Gefährtin Thelma, angegafft, bestaunt und ob seiner unbeirrbaren Gelassenheit schließlich in vielfältige Gespräche verwickelt: Moondog. Der blinde Spielmann aus New York in seiner abenteuerlichen Wikinger-Germanen-Eulenspiegel-Tracht (die er sich selbst entwirft und näht). Im Hintergrund vom Plattenspieler erklangen ab und zu Teile seines kompositorischen Werkes, Madrigale voll rythmischer Raffinesse, symphonische Tonmalereien, die "Ode an die Venus".

Ein Einzelgänger aus den Straßenschluchten Manhattans, Asphalt-Philosoph, Ur-Hippie, halb Odin, halb Michelangelos "Moses" ähnlich, dem sein junger Förderer und Freund Paul Jordan, ebenfalls Gast der Ausstellungs-Eröffnung, Bach-Interpret, selbst Komponist von einigem Rang, für diese erste Reise nach Europa auf Einladung des Hessischen Rundfunks den Weg bereitete. Moondog, dieser liebenswürdige, sehr in Weinheim verliebte Sonderling, so zufällig er auch in den Mittelpunkt jener Vernissage geraten sein mag, offenbarte sich in der Diskussion mit den vielen Gästen, die sichtlich besonders ihm zuliebe gekommen waren, auf verblüffende Weise den Bildern Gigino Falconis als durchaus vergleichbar: Poppig-blickfängerisch zunächst, bei näherem Hinsehen, genauerem Zuhören indessen von eigenständiger, schöpferischer Kraft und Aussage, von höchst sensibler Musikalität. Heute Abend um 20 Uhr werden in der Weinheimer Peterskirche neben Werken von Johann Sebastian Bach, interpretiert von Paul Jordan, 14 von Moondogs Orgel-Kanons zu hören sein.