aus / from: Hannoversche Allgemeine, 13. Februar 1974


Begegnung in Hannover

Moondog


Wenn er durch die Straßen Hannovers spaziert, erregt er Aufsehen: Moondog, mit bürgerlichem Namen Louis Hardin, der freundliche, bärtige, große Amerikaner zieht durch seine originelle Kleidung unweigerlich die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich. Der blinde Spielmann aus New York mit dem weiten braunen Lederumhang und dem historisch getreu nachgebildeten Wikingerhelm als Kopfschmuck besucht zur Zeit Deutschland, "meine Heimat", wie er sagt. Vor kurzem gab der 58-jährige Komponist ein Avantgarde-Pop-Konzert für den WDR, seit mehr als einer Woche ist er in Hannover, wo er, am 14. Februar sein erstes Gastspiel in der Musikhochschule geben wird.

In seinem Geburtsland ist er als Liedermacher und Komponist ein bekannter Mann, doch in Amerika, erklärt er, fühle er sich als "Europäer im Exil", als Außenseiter. Denn die Amerikaner seien Menschen ohne Gespür für Geschichte. Moondog fühlt sich als Wikinger. Sein Geschichtsbewusstsein führte beispielsweise zum Entwurf seiner auch für Europäer eigenartig anmutenden Tracht. Vor 15 Jahren begann er die nordischen Sagas zu studieren. Und sie will der Komponist in seiner Musik und in seinen Gedichten den Menschen näher bringen.

Vielleicht ist Moondog so etwas wie ein Ur-Hippie. Seit 25 Jahren lebt er in New York mitunter monatelang auf den Straßen, wo er als Neu-Wikinger mit Umhang und Stab seine Partituren und Sinnsprüche verkauft oder Passanten in Gespräche über Geschichte, Philosophie und Musik verwickelt.

Von dem blinden Amerikaner, der sein Augenlicht als Kind bei einer Gasexplosion verlor, sind bereits zwei Schallplatten erschienen. Er schrieb außerdem zu einem amerikanischen Märchen ("Mother Goose") die Musik, die von Julie Andrews gesungen wurde, und zur Zeit arbeitet er an einer Oper ("Aufzug der Asen"). Richtig wohl könne er sich, obwohl er inzwischen ein Landhaus in der Nähe von New York besitzt, nur im Norden Europas fühlen, bekennt Moondog. Im nächsten Jahr will er wieder nach Deutschland kommen. Befragt, ob er auch Deutsch lernen wolle, gibt er in einwandfreiem Deutsch gelassen zur Antwort: "Ich bin froh über das, was ich geschaffen habe."