aus / from: Spex 1991 Nr. 5 p. 8


Harald Hellmann

Moondog lebt in Erkenschwick

Also, man hat die Wahl. Um von Recklinghausen nach Oer-Erkenschwick zu kommen, kann man den Oerweg nehmen, überdacht von Chausseebäumen, und hat schon bald Felder und Äcker zur Rechten, oder die Dortmunder hoch, oder aber den längeren, doch interessanteren Weg über Berghausen, Suderwich und Essel. Vorbei an der ehemaligen Zeche "König Ludwig 4/5", an deren Mauer die ersten Bomben auf Recklinghausen fielen und so die Stelle kurz zum Wallfahrtsort sensationslüsterner Volksgenossen machten, bis dann Phosphornächte, Flakfeuer und Bombergedröhn zur lieben Gewohnheit wurden. Vorbei an der Freßbaracke "Spatzenfalle" zum Traditionsnachtclub "Mondgrotte", rechts immer noch Zechenmauer, bis zum durchgesägten Förderrad, das an die Zeche erinnert, von der '45 die weiße Fahne begrüßte und die heute im wesentlichen ein geschliffenes, planiertes, von Backstein umgebenes Nichts ist, links, dann nochmal, wieder ansteigend auf Essel zu, als wolle man weiter Richtung Freibad, Pussygucken. Auf der Hügelkuppe vor Essel stehen rechts unter einem Baum ein Wegkreuz und eine Bank, von der man über Wiesen, Felder und Baumgruppen hinweg einen Ausblick auf Erkenschwick hat, dominiert von der Schachtanlage "Ewald Fortsetzung" (da kann man natürlich auch unterirdisch hin, vom Förderschacht "General Blumenthal 11" in Wanne-Eickel sind es etwa 20 km). Ewald ist das Schönste an DE, abgesehen von dem schmutzigen Luftschutzbunker an der Knappenstraße, der wie sein senfgelber Kollege an der Ahsenerstraße die Aufschrift "Kreissparkasse" trägt, und ein paar Trinkhallen, die wie geronnene Lee-Hazelwood-Songs aussehen. In mehreren Rezensionen der 7" "Love Child Plays Moondog" (Forced Exposure) wurde neulich gefragt, wo Louis Hardin aka Moondog, der blinde Musiker, Komponist und Dichter, geblieben ist, der in den Fünfzigern und Sechzigern im Wikingergewand die Straßen New Yorks schmückte. Da hinten. Nachdem er in den Siebzigern in Recklinghausen an die Edda erinnert hat. Wer sich über einen wirklich bizarren Lebenslauf informieren will, kann u.a. Tom Klatts Moondog-lnterview im "Bucketful Of Brains" No. 6 (1983) und den - allerdings weitgehend auf dem Interview basierenden - Artikel im "Strange Things Are Happening" vom Frühjahr 1990 nachlesen. Wer das Ahnende, Wallende und Abgründige mag, findet im Vestischen Kalender 1978 den Beitrag "Moondog - Vermächtnis eines großen Herzens" von Heinz Kosters. Alles drin, "schwärende Wunden der Menschheit", "Urgründe des Seins", "Chaos und Nacht", guter Gott!

Auch auf Forced Exposure und mitten aus der Zirbeldrüse eine Teamarbeit des notorischen Eddie Flowers und des verrückten Angry Samoans Todd Homer, Crawlspace/Mooseheart Faith: "On The Tide"/"Hook In The Gray". Einmal schwer meditativ, einmal eher die Umlaufbahn, auf der Freunde des Selbstgebrannten kreisen. Paßt auch eher zur ländlichen Gegend hier und bekäme Tav Falco auch so hin, wenn man ihm ein paarmal über den Kopf hauen würde. Ein Job, den George Reinecke wohl ganz gerne übernehmen würde. Zur Zeit ist der mit Miettruppe unterwegs, Vinyl steht auch an, und in Münster gab es zum Auftakt auf Initiative des Drummers Rocko eine sehr garagige Sondervorstellung der Red Assed Baboons, u.a. mit Helge "200 Leute kommen? Ich habe nur 180 Kondome!" Schneider und Götz Alsmann (der wiederum letztes Jahr ein Konzert mit Moondog gegeben hat und den Meister demnächst nach England begleitet). Eine Gegend voller skurriler Charaktere, das Münsterland, aber auch schwerer Schicksale, wie Luger im Rübenacker vergraben und dann nicht wiederfinden.