aus / from: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. September 1999

Die große Pauke. Zum Tod von Louis T. Hardin alias "Moondog"

von Peter Kemper

Mit einem weißen Methusalem-Bart, einem schwarzen Strickmützchen und einem langen, kuttenähnlichen Gewand provozierte der Komponist und Keyboarder Louis T. Hardin seine Kritiker wiederholt zu Urteilen wie: "Moondog ist der Großvater Moses der Musik." Dabei war der im Mai 1916 in Marysville/Kansas geborene Sohn eines protestantischen Missionars und einer Lehrerin nur ein Außenseiter, wie es selbst in den modernen Musik wenige gegeben hat. In seinen weit über tausend Stücken verband er klassische Kompositionstechniken und populäre Sounds zu Orchesterstücken, Orgelwerken und Madrigalen, die auch in der seriösen Kritik respektiert wurden, vor allem die Kompositionen für Bläser und Schlagzeug. "Bedenken Sie" soll Igor Strawinski einmal über ihn gesagt haben, "der Mann ist ein ernst zu nehmender Komponist."

Die Musik war für Louis T. Hardin schon als Jugendlicher Fluchthilfe und Überlebensmittel zugleich. Nachdem er als Sechzehnjähriger bei einer Explosion sein Augenlicht verloren hatte, konzentrierte er sich auf das Orgel- und Violinspiel. Obwohl er die Musikhochschule in Memphis besucht hatte, bezeichnete er sich in der Folgezeit immer als Autodidakt. Seinen Künstlermamen "Moondog " gab er sich übrigens erst 1947 in Erinnerung an seinen Blindenhund in Missouri. Für Moondog zählte vor allem das menschliche Maß in der Musik. Computer-Klänge, Elektronik und atonale Improvisationen waren ihm ein Greuel. Dabei hatte er während seines dreißigjährigen Aufenthalts in New York nicht nur mit Arthur Rodzinski, dem damaligen Dirigenten der New Yorker Philharmoniker, zusammengearbeitet, sondern auch mit Charlie Parker und Paul Simon.

Moondog fühlte sich gerade durch das Spannungsverhältnis einer strengen Form zu den vielfältigen Möglichkeiten ihrer Ausgestaltung herausgefordert. Er bevorzuge eine "Freiheit in Knechtschaft" hat er einmal bekannt. Deshalb tauchte in seinen Werken für Kirchenorgel und Perkussion, für Saxophon-Chor, Streichquartett oder auch in einem Jazztitel wie "Good für Goodie" immer wieder der Kontrapunkt auf. Selbst die Synkopen in seinen Jazzstücken, all die Off-beats und vertrackten Kreuzrhythmen stehen schon auskomponiert auf dem Papier.

Dreißig Jahre lang, von Ende der vierziger bis in die frühen siebziger Jahre, hat Louis T. Hardin mit seinem Mantel, in Sandalen und einem Wikinger-Helm auf dem Kopf als Straßenmusiker auf der Avenue of the Americas in New York gestanden. Unterstützt wurde er von vielen: von Artur Rodzinski, in den vierziger Jahren Dirigent der New Yorker Philharmoniker, ebenso wie von den Dichtern der "Beat Generation". Janis Joplin nahm sein Madrigal "All is Loneliness" auf. Es gab eine gemeinsame Schallplatte mit Julie Andrews.

Als Louis T. Hardin im Jahr 1974 mit dem Organisten Paul Jordan für ein paar Konzerte die Bundesrepublik Deutschland besuchte, war er von der Atmosphäre in der hiesigen Musikszene so angetan, dass er fortan in Deutschland lebte. In seiner Wohnung am Rande des Ruhrgebiets in Oer-Erckenschwick entstanden in den letzten Jahren faszinierende Werke wie das Saxophonprojekt "Sax Pax" oder hypnotische Kompositionen für Big Band. Er trat auf den Wittener Tagen für Neue Kammermusik auf und arbeitete mit Stephan Eicher. Seine letzte Plattenveröffentlichung liegt sieben Jahre zurück: "Elpmas" ein ebenso kindliches wie kompliziertes Konzeptalbum, das in Deutschland produziert wurde.

Der stets menschenfreundliche Moondog war selbst ein leidenschaftlicher Perkussionist und ließ es sich selbst im Alter von achtzig Jahren nicht nehmen, in der "London Brass"-Band die große Pauke zu schlagen: "Symphoniker haben immer gesagt: 'Wir hören den Beat eher, als dass wir ihn sehen.' Gottseidank, kann ich da nur sagen. Denn wenn dem so ist, dann haben Trommlerjungen wie ich eine Chance." Louis T. Hardin alias Moondog ist jetzt im Alter von dreiundachtzig Jahren in Münster/Westfalen verstorben.