aus / from: Süddeutsche Zeitung (München), 25. Oktober 1994

Harry Lachner:

Moondog and the London Saxophonic. Hymnus ans Saxophon


Wer weiß schon, wenn er mit Werken des Komponisten Louis Hardin alias Moondog konfrontiert wird, ob er in die Vergangenheit oder in die Zukunft blickt, wer weiß, ob wir es hier mit einer neuen Unschuld des Komponierens zu tun haben, oder doch nur mit der Erinnerung an die Illusion eines Regelkanons, dessen Erfüllung schon Schönheit garantierte. Wer sich mit seiner Musik derart außerhalb unserer Zeit stellt, muß ein inniges Verhältnis zum Augenblick haben. So klang denn auch vieles, was der 78jährige Moondog und The London Saxophonic in der Muffathalle boten, wie der utopische Versuch, kurze Glücksmomente ins Unendliche zu dehnen, selbstvergessen auf dem Entrückungsschema des vielstimmigen Kanons zu beharren.

Moondogs rigorose Anwendung des Kontrapunktes, seinem Streben nach der perfekten, in sich geschlossenen Form und seinem Bekenntnis zu radikaler Tonalität haftet etwas wunderlich Archaisches, Rituelles an. Moondog verbindet kinderliedhafte Einfachheit mit raffinierter Beschwörungsintensität in stahlend durchsichtigen Kompositionen. Dennoch war das Konzert ein einziger Hymnus an das Instrument des Adolphe Sax, eine Reminiszenz an den Jazz und eine Verbeugung vor dessen Virtuosen wie Charlie Parker oder Lester Young. Die Stücke, brilliant intoniert von den Bläsern der London Saxophonic, bewegen sich allesamt auf der imaginären Grenze zwischen Naivität und unerbittlichem Gestaltungswillen, irgendwo zwischen Gestern und Heute. Nicht von dieser Zeit und doch von dieser Welt, vielleicht ist das die Formel, auf die man Moondogs Werke bringen könnte.