Die Aufspaltung in sogenannte E- und sogenannte U-Musik ist sicher nicht sonderlich sinnvoll, entspricht sie doch deutlich genug einer Art Markt-Aufteilung nach branchenspezifischen Gesichtspunkten. Dementsprechend hat freilich auch der Versuch, die beiden Sphären miteinander zu fusionieren, sein Problematisches: im Sinne einer unter Umständen bloß nivellierenden Vereinnahmungstendenz. Gleichwohl gilt es, die Regionen der - wie es so schön heißt - hohen und niederen Musik gleichermaßen zu berücksichtigen, geht es dabei doch auch darum, sich der kulturell Unterprivilegierten anzunehmen, mag die diesen zuerteilte Kunst auch fragwürdig sein. Doch ist die Moderne ja auch schon in sich keineswegs so hermetisch-lupenrein, wie es deren elitären Verfechtern vorschwebt. Im Frühwerk Strawinskys, erst recht in der Musik von Charles Ives ist Trivialmusik immer wieder gegenwärtig. Und die sinnvolle Verwendung ihrer Mittel spielt innerhalb der Diskussion um eine auch politisch effiziente Kunst, wie sie hauptsächlich mit dem Namen Hanns Eislers verknüpft ist, eine beträchtliche Rolle. Hinzu kommen die diversen Ansätze, gemäßigte Moderne mit den Praktiken eines, allerdings schon weitgehend kommerzialisierten Jazz quasi exotisch anzureichern. Doch mit dem Trend zur Musik der offenen Form und dementsprechend anwachsenden Anteil von Improvisation haben sich die Grenzen zwischen den Sparten noch weiter verflüssigt, und Wechselbeziehungen zwischen Avantgarde, free jazz und progressiver Pop-Musik lassen sich beobachten und auch verwerten.
So sind denn in letzter Zeit mehrfach Konzerte veranstaltet worden, zu deren Konzept die Konfrontation wie die versuchte interaktionelle Synthese der verschiedenen musikalischen Regionen gehört. So kontrastierte man in Berlin unlängst Orchesterstücke von Christobal Halffter und Witold Lutoslawski mit dem Spiel der Pop-Gruppe "Can". Die Begegnung bestimmter Publikumsgruppierungen mit ihren entsprechenden Erwartungshaltungen miteinander und zunächst wechselseitig fremdartigen musikalischen Eindrücken kann produktive Anregungen vermitteln, doch bleibt dies oft genug Theorie.
Im Frankfurter Hessischen Rundfunk hat man vor drei Jahren free jazz-Musiker der Gruppe um Albert Mangelsdorff und die Kölner feedback-Avantgardisten teils getrennt, teils zusammen improvisieren lassen. Nun veranstaltete man wieder ein Konzert unter dem verheißungsvollen Titel "Avantgarde und Pop", der jedoch mehr Aufschluß versprach als die Ergebnisse hielten. Doch mit einem Kuriosum immerhin wurde man konfrontiert: dem ersten europäischen Auftreten von "Moondog". Dieser Mondhund, der Name enthält eine Reverenz vor den antiken Kynikern, ist New Yorks musikalischer Diogenes im Faß, ein musikalischer Magus der Subkultur. Doch sein Auftritt vollzieht sich nicht im antiken Gewand. Mit wallend-weißem Haar und Bart und langem Mantel, Stierhorn-Helm und Speer wirkt er fast wie eine Inkarnation des Wagnerschen Wanderers Wotan. Der 58jährige Louis Hardin verlor schon als 16jähriger bei einer Dynamit-Explosion sein Augenlicht. Er studierte Musik und komponiert unermüdlich. Seine Tage und Nächte verbringt er auf den New Yorker Straßen, wobei er - ein moderner Hippie-Sokrates - Passanten in philosophische Gespräche verwickelt.
Sein platonischer Exeget, Interpret und Begleiter ist der Orgel- und Blockflötenspieler Paul Jordan, der nun auch das Konzert im Frankfurter Funkhaus mitbestritt und einstudierte. Moondog träumt, wie Platons Sokrates auch, von den für uns zwar verlorengegangenen, doch an sich verrückbar weiterexistierenden Ideen: vor allem der Tonalität und der barocken Polyphonie. Ironie ist gänzlich ausgeschlossen, und auch in Ives'sche folkloristische Brodel-Effekte denkt er nicht im Entferntesten. Moondog sucht die heile Musik. So steht er denn wie ein archaischer Recke am Podium und dirigiert mit dem wuchtigen Niederschlag eines Erdstampfers; wobei den Schlägen der großen Trommel die unabdingbare Funktion metrischer Stabilisierung zukommt. Archaische Feierlichkeit ist denn auch der dominierende Eindruck, den seine Musik auf weite Strecken hinterläßt, vor allem in den germanische Mythologeme beschwörenden Bläseraufschichtungen "Heimdalls Fanfare" und "Aufzug der Asen". Zahllos sind die Kanons, die Moondog komponiert hat, kurze Stücke von simpler polyphoner Struktur. Seine Stücke konzipiert er erst vollständig im Kopf, um sie dann in musikalischer Blindenschrift zu notieren. Dann ist er darauf angewiesen, daß sie jemand in die gängige Notenschrift überträgt und deren Realisation besorgt. Nachträglich versieht er seine Werke oft mit Texten. So kommt es zu Moondogs Madrigalen. Eine Reihe von ihnen wurde in Frankfurt durch die Rosy Singers aufgeführt. Moondogs Musik ist ein kurioses Gemisch aus Bachschem Fugen- und Kanonwesen, Palestrina-Polyphonie, Orffscher Schlag-Monotonie, Wagnerschen und Mahlerschen Blechbläser-Signal-Ballungen und einer allenfalls leicht popig wirkenden Swing-Komponente im Stile der Swingle Singers. Die Tonkunst des Mondhunds suggeriert heile Welt und geniert sich nicht, schlichte Reaktion zu propagieren. So hat der archaische Barde denn auch keine Hemmungen, nach dem abschließenden, sicher ganz ernst gemeinten Wiener-Banal-Walzer, sich mit der Andeutung eines deutsch-militärischen Grußes zu verabschieden. Die Moondog-Serenade hinterließ einen fatalen Eindruck einer höchst affirmativen musikalischen Vergangenheitsbeschwörung, die sich kaum etwa mit dem Begriff einer Art kompositorischen Sonntagsmalerei in Beziehung setzen läßt. Denn dazu klingt sie doch zu sehr nach einer "Rettet das Abendland"-lnitiative.
In Frankfurt reagierte das Publikum, und sicher nicht nur aus Sympathie mit dem blinden Urtümler, recht begeistert, während es bei einer immerhin suggestiven Realisation von Terry Rileys "Keybord Studies" durch das Ensemble "Intermodulation" bisweilen recht unwirsch dem Wunsch nach Kurzweiligerem Ausdruck verlieh. Für den spezifischen Pop-Faktor standen drei längere Improvisationen der Gruppe "Kraftwerk", die nur streckenweise fesselnde Momente hatten. Aber das anvisierte Thema Avantgarde und Pop blieb gleichwohl mehr eine konzeptionelle Abstraktion als eine musikalische Konkretion.