aus / from: Neue Zeitschrift für Musik 135 (1974) p. 192-193


Wolfgang Sandner

Frankfurt am Main: Erster Europa-Auftritt von "Moondog" beim Avantgarde-Pop-Konzert im Hessischen Rundfunk


Johannes G. Fritsch hat in einer Dokumentation über "Straßenmusik in Köln" eine Tendenz in Literatur, Theater, bildender Kunst und Musik umrissen: nicht mehr allein subjektiven Gedanken und Empfindungen Ausdruck zu verleihen, sondern scheinbar objektive Dokumente der Wirklichkeit zu liefern. Das Arbeitsgebiet des Künstlers sei weniger das Darzustellende als die Darstellung selbst, also Dokumentation als künstlerisches Ereignis. Das Innermusikalische rückt ins zweite Glied.

Von solcher Sicht aus wäre auch der Auftritt von "Moondog" im Sonderkonzert "Avantgarde und Pop" des Hessischen Rundfunks zu verstehen. Zur Ambivalenz von Moondogs Musik gehört, daß nicht nur der Klang wichtig ist, nicht nur, was und wie es gespielt, sondern daß es gespielt wird und daß Moondog auftritt. Aber Moondogs Musik ist nicht reine Straßenmusik im Sinne von Johannes Fritsch, nicht Gebrauchsmusik, die durch die Dokumentation zum künstlerischen Ereignis wird. Der Ur-Hippie Moondog (58 Jahre alt, eigentlicher Name Louis Hardin), der seit einem Vierteljahrhundert auf New Yorks Straßen lebt und durch sein pittoreskes Wikingerkostüm Aufsehen erregt, spielt seine Werke weniger auf den Straßen, als daß er dort sein Klangmaterial ordnet, und zwar nicht, wie man vermuten könnte, die konkreten Klänge des Straßenlärms, der Autohupen und Polizeisirenen einbeziehend, sondern die Tonalität und traditionelle Formenwelt von Vorbarock bis zur Romantik bewahrend.

Moondogs stets gleichförmige vulgär-polyphone Madrigale und Kanons - von einem Instrumentalensemble, dem Organisten Paul Jordan und den Rosy-Singers vorgetragen, sind einerseits "neo-naive Werke", die mit ihrem reaktionären Material kokettieren, andererseits Persiflagen zur herkömmlichen "abendländischen" Unterhaltungsmusik. Beide Tendenzen seiner Musik, restaurativer und zerstörender Charakter, zielen dabei ins Leere, den Komponisten am Dirigentenpult gleichsam gefoppt zurücklassend. Moondog versucht zu bewahren, was in Archivproduktionen längst bewahrt ist, und zu demolieren, was, lächerlich gemacht, längst in Schutt und Asche liegt.

Seine Kompositionen haben die Wirkung wie die Wettläufe zwischen dem Igel und dem Hasen. Einerlei, wo Moondog musikalisch hinläuft, immer ist der stachelige Antipode mit Namen Avantgarde oder Authentizität schon dagewesen. Bleibt also nur die Aktualität des Auftritts, die gleiche Aktualität übrigens, die zum Wiederaufleben der Revue im Theater geführt hat.

Offensichtlich vom schönen Gleichklang der Moondog-Serenaden eingelullt, konnte sich das vornehmlich jugendliche, pop-orientierte Publikum mit dem "Konzept einer Musik für forschende Ohren", mit Terry Rileys "Keyboard Studies", gespielt von den exzellenten Musikern von "Intermodulation" - nicht einverstanden erklären.

Die Tendenz zur meditativen Grundstimmung, zum Trancezustände erzeugenden monotonen Sound, wird wohl nur akzeptiert, wenn sie - auf musikalisch wesentlich gröberer Ebene wie bei der Rockgruppe "Kraftwerk" - mit Rockelementen aufpoliert wird.

Rileys akustische Vexierbilder mit subtilsten rhythmisch-motivischen Verschiebungen setzen ein Hören voraus, das trotz Pink Floyd vermutlich immer noch nicht entwickelt ist, obwohl doch Terry Riley an Werke La Monte Youngs anknüpft, die dieser bereits vor 10 bis 15 Jahren komponiert hatte (Sunday Morning Blues, Dorian Blues), wiederum beeinflußt von Claude Debussy und dessen Maxime: "Höre nicht auf die Menschen, höre nur auf den Wind und die Wellen des Meeres."