(unermittelte Tageszeitung von September 1974)
R.F.:
Bach und ein trommelnder Nikolaus
"Moondog" mit Versen, Orgelklang und Chorgesang im Westfälischen Kunstverein
Die etwa 400 jazz- und rockgewöhnten jungen Leute waren sichtlich irritiert. Nicht nur, daß sie diesmal buchstäblich in einen Musen-"Tempel" geleitet wurden, in eine feierlich wirkende Säulenhalle (den Lichthof des Landesmuseums in Münster) - auch die Musik, die dort am Donnerstagabend im Rahmen der Konzertreihe des Westfälischen Kunstvereins geboten wurde, mußte sie verwirren. Das hub an mit Orgelklang und Chorgesang wie bei einem festlichen Adventskonzert, und St. Nikolaus persönlich schien, würdevoll hinter Conga-Trommeln hockend, über das rechte Gelingen zu wachen.
Dieser rauschebärtige, gelinde gesagt ungewöhnlich gewandete Mann war der Spiritus rector des Ganzen. Natürlich war er weder Nikolaus noch Weihnachtsmann, sondern zeigte sich als Komponist, Verseschmied und Perkussionist ausgefallener Art. Seit 1947 nennt er sich nicht mehr Louis Hardin, sondern zu Ehren seines Hundes Moondog, und sein ausgiebiges Studium germanischer Sagen und altnordischer Sprachen verleitete ihn dazu, sich nur noch wie ein Urgermane zu kleiden. Nach der Erblindung mit 13 Jahren widmete sich der heute 58jährige Amerikaner eingehend der Musik.
Doch die ist gar nicht so extravagant wie seine Erscheinung. Bach, Beethoven und Brahms dienen ihm, wie er selber sagt, als Vorbilder, und ihnen eifert er in der Tat deutlich spürbar nach. Das klingt alles hauchzart und richtig "schön", was Moondog da aufs Notenpapier gebracht hat. Und das Streichquartett der Philharmonie Hungarica und der Chor der Herman Singers aus Marl verleihen dieser wohltönenden Musik Ausdruck und Gewicht. Nur aus den Texten spricht dann doch geradezu Dali'sche Extravaganz. Da wird die getragene Feierlichkeit des Klangs verballhornt durch banalen Inhalt: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, Zuviele Köche verderben den Brei, Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, Wer den Heller nicht ehrt, ist des Talers nicht wert - solche allbekannte Sprichwortweisheit ward hier mit todernster Miene mehrstimmig dargeboten. Und im Publikum wußte man nicht recht, wie man sich dazu verhalten sollte. Einer sagte, mit leiser Ironie konternd, "Klasse!", und man klatschte, zuerst verhalten dann stärker, manchmal an den falschen Stellen. Am Ende stand das Superereignis eines spontan improvisierten Klatschkonzerts mit Conga-Begleitung des zu Späßen immer aufgelegten trommelnden Germanen mit Bach-Faible aus USA.
Von dem lnstrumentalisten Moondog, der von Jazzmusikern wegen der nahtlosen Integration von Jazzidiom und "klassischer" Musik seit Jahrzehnten hochgeachtet wird, hörte man leider nur wenig - die Erkrankung der Pianistin machte eine Beschränkung des Repertoires notwendig. Kirchenorgel, Blockflöte und Baß waren neben den Streichinstrumenten der Philharmonie Hungarica und den Trommeln Moondogs die einzigen verwendeten Instrumente, dem Charakter dieser Musik angemessen.
Der Westfälische Kunstverein, der mit diesem Konzert gegenüber dem vorigen mit der Gruppe "Gong" von einem Extrem ins andere fiel, hat mit Sicherheit eines erreicht: eine Publikumsschicht zu einer Musik hinzuführen, die sie in einem anderen Rahmen aus eigenem Antrieb vermutlich kaum anhören würde.