Foyer (irgendeine Nummer von 1992)
Berthold Klostermann
Der Amerikanische Komponist Moondog
Es lebe der Kontrapunkt
Musikalische Karrieren führen aus der Provinz nach New York. So gehört es sich. Einen Komponisten, den selbst die berühmtesten Kollegen als Kultfigur verehren, hat es jedoch von New York an den Nordrand des Reviers verschlagen. Seit 16 Jahren lebt der 76jährige blinde Tonsetzer Louis Thomas Hardin, alias Moondog, in Oer-Erkenschwick, wo er bislang im Hause einer befreundeten Familie still vor sich hin komponierte.
Vor knapp drei Jahren war es plötzlich aus mit der Stille. Da tauchte er phönixartig auf dem "New Music America"-Festival in Brooklyn wieder auf, und nun erfreut er sich auch hierzulande neuer Medienpräsenz. Seine Platten sind wieder erhältlich, und seit neuestem hat die Konzertszene ihn zurück.
In seiner New Yorker Zeit, in den 50er und 60er Jahren, war Moondog in Manhattan bekannt wie ein bunter Hund. Da lebte er in abenteuerlicher Wikingerverkleidung zumeist auf der Straße. Wo er die Bekanntschaft von Musikergrößen unterschiedlichster Couleur machte. Sie alle erkannten hinter der Fassade des Freaks den Künstler. Janis Joplin nahm auf ihrer ersten Platte mit Big Brother & The Holding Company Moondogs "All Is Loneliness" auf. Moondog heute: "Damit versaute sie das Stück."
Steve Reich und Philip Glass erklärten ihn gar zum Vater ihrer Minimal Music. Was Moondog selbst freilich eher befremdlich findet. Hält er es doch mehr mit den Alten: mit Palestrina, Bach und all den großen europäischen Komponisten des Kontrapunkts und der Klassik.
Madrigale schreibt er, Kanons und Chaconnes, Suiten und kleine Symphonien, die so streng gebaut sind, als wolle er darin seine Vorbilder noch übertreffen. Dabei wirkt seine Musik nie lehrbuch- oder etüdenhaft, sondern anmutig, eingängig und auf charmante Weise naiv, voller ohrwurmartiger Melodien und starker Rhythmen - ganz anders eben als herkömmliche Minimal Music. In seinen Konzerten schlägt der charismatische Greis mit dem schlohweißen Haar und dem wallenden Rauschebart auf einer großen Trommel selbst den Beat, der zum Herzschlag seiner Musik wurde. Einen Beat. wie er ihn als Kind in den Indianerreservaten seiner Heimat Wyoming kennenlernte, wo Häuptling Yellow Calf ihn schon mal an die große Sonnentanztrommel ranließ. Solche Erlebnisse prägen ...
Als Moondog 1974 zu einer Rundfunkproduktion und ein paar Konzerten nach Deutschland kam, ging er einfach nicht mehr nach New York zurück Er blieb im Land seiner großen alten Komponistenvorbilder - seiner, wie er sagt, eigentlichen musikalischen Heimat. Auf Umwegen verschlug es ihn nach Oer-Erkenschwick, wo er bei besagter Familie auch ein Zuhause fand.
Anläßlich seines 75. Geburtstags gründete sich im vorigen Jahr in London ein Ensemble von Angehörigen der Guild Hall School of Music einzig zu dem Zweck, Moondogs Kompositionen aufzuführen: die London Saxophonique (9 Saxophone plus Klavier und Schlagzeug). Nach umjubelten Konzerten beim Stuttgarter Jazzgipfel, der Kasseler Documenta, in Jena und im Bochumer Bahnhof Langendreer ist sie jetzt auch in Waltrop zu hören: als Top Act bei dem Kulturspektakel "Das neue Altamira". Natürlich unter Leitung von Moondog persönlich.
Termin: "Das neue Altamira", 26.9.1992, Zeche 1/2, Waltrop-Brockenscheidt, Sydowstraße. Beginn: 12.00 Uhr. Ende: 0.00 Uhr. Weitere Programmpunkte: Ausstellung Christine Brundel (Tanz) und Peter Kowald (Baß): "Wasser in der Hand". Bernhard Ioan Siegel (Obertonharfe) u.a.