WAZ, 24. Mai 1994


Wolfgang Platzeck
Die Suche nach Neuem


Hip-Hop, Jazz und Volksmusik beim Moers Festival


7000 fetenfeiernde (und zahlende) Besucher allein bei der African Dance Night in der Eissporthalle: Beim 23. Moers Festival dürften sich zumindest die Erwartungen der Organisatoren erfüllt haben.
Ob auch die Erwartungen der Musikfreunde erfüllt wurden, das freilich steht auf einem anderen Blatt. Schließlich ist der Hinweis "New Jazz" nur noch durch ein dummes Versehen des Grafikers auf das offizielle Plakat gerutscht. Und zu buntgemischt, zu offen nach allen Seiten ist längst das Programm dieses viertägigen Musikmarathons, um nicht zwangsläufig in die Schußlinie der Kritik zu geraten. Doch wenn Festivalchef Burghard Hennen sein Konzept darin sieht, "neue Musiken in sinnvoller Beliebigkeit" zu präsentieren, dann schließt das eben auch das scheinbar Unvereinbare ein.
Dann gehört eben auch ein Abstecher in den Bereich des Hip-Hop dazu. Und selbst derjenige, dem diese Musik wenig oder nichts sagt, mußte beim Festival eingestehen, daß die siebenköpfige Wuppertaler Hip-Hop-Formation "Exponential Enjoyment" ihr musikalisches Konzept konsequent und überzeugend umsetzte. Ganz im Gegensatz zu Jamaaladeen Tacuma.
Der Versuch des Bassisten, den Funk-Jazz seiner "Sound Symphony" (Gitarre, Schlagzeug) durch Einbindung des Rappers "YZ" und der ebenso prätentiösen wie blassen Poetin "99" zum Hip-Hop-Jazz hochzustilisieren, war quälend einfallslos und wurde doch vom Publikum frenetisch gefeiert.
Überhaupt ist die Publikumsreaktion ein Kapitel für sich. Auch der Musik-Konsument scheint offener geworden zu sein. Die strenge, kanonhafte Minimalmusik des 78jährigen Moondog, dessen Kompositionen von den "London Saxophonics" gespielt wurden, fand die gleiche begeisterte Aufnahme wie die Avantgarde-Rock-Performance von Samm Bennett & Chunk (New York). Man bejubelte Rhythm'n'Blues-angehauchten Jazz-Rock von David Murray & Octofunk ebenso wie Renaud Garcia-Fons.
Nach dem Motto "Ein Baß ist gut, zwei Bässe sind besser" sampelte der Franzose seine harmonischen Improvisationen, legte über die abgerufene schöne Melodie eine noch schönere zweite oder arbeitete gleich mit vorproduzierten Bandaufnahmen.
Nur einmal, und auch dann nur kurz, kam Unmut auf: Als sich die Musik der sieben Innsbrucker "Knödel" als reine, am Konservatorium akademisch veredelte Volksmusik herausstellte. Doch kaum hoben ein paar Ensemblemitglieder, von der Schlaggitarre begleitet, zu mehrstimmigem alpenländischen Chorgesang an, da war die Fetenstimmung wieder hergestellt.