Robert Heigl
Glasklare Saxophonklänge in einer Vollmondnacht
"Moondog" und die "London Saxophonic" bei "Jazz im Theater" in der Salzburger Elisabethbühne
Sie mußten einfach zusammenkommen: "The London Saxophonic", neunköpfiges Saxophon-Ensemble mit ausgeprägt britischem Humor und dem Problem, daß es nur wenig Musikliteratur für diese Besetzung gibt und man demzufolge vieles selber komponieren muß, und "Moondog", 78jähriger blinder Komponist aus Amerika mit Wohnsitz in Deutschland, dessen verschachtelte, streng kontrapunktisch aufgebaute Musik im Spannungsfeld zwischen Klassik und Moderne ideal ist für eine Besetzung. wie sie die "Saxophonic" bieten. Das Londoner Ensemble, das in seinem Repertoire viele Stücke von Minimalisten wie Phil Glass und Steve Reich hat, und das nicht minder humorvolle, unerschöpflich kreative Genie, das von Kollegen wie Charlie Parker, Arturo Toscanini und Leonhard Bernstein geschätzt und von Fachleuten mit Etiketten wie "Erfinder der Minimalmusik" bedacht wurde.
Zusammen gastierten sie jetzt beim letzten Vollmond (!) in der Reihe "Jazz im Theater" in der Salzburger Elisabethbühne, und es wurde ein großer Abend, ein beeindruckendes Erlebnis: Vor der Pause die Londoner Musiker mit - wie gesagt - eigenen Stücken und Arrangements minimalistischer Kompositionen und einem Anfang. der es in sich hatte: Einer steht allein auf der Bühne und beginnt zu spielen: plötzlich bekommt er von allen Seiten Antwort, hört man die Klänge, doch die Spieler sieht man nicht. Es folgen, in ständig wechselnder Besetzung und dezent angereichert mit kleinstem Schlagwerk und Keyboard, Stücke, die an jiddische KlezmerMusik erinnern, an südosteuropäische Volksmusik oder fernöstliche Tempelklänge.
Da werden die Zuhörer in minimalistische Vier-Ton-Endlosschleifen geschickt, aus denen es scheinbar kein Entrinnen gibt, aber dann doch: hinein in den "Moscow Express" und via Albanien weiter durch einen musikalischen Kosmos, der Herz, Phantasie, Intellekt und Ohren erfreut. Und das alles in einer Klangreinheit, einer Transparenz, die selbst komplizierteste Strukturen durchsichtig wie Glas werden läßt. Kleiner Gag am Rande: Das ständige Rundumgehen einer Brille, das zuerst Verwunderung bei den Zuhörern auslöst, bis dann, früher oder (bei mir) später, der Groschen fällt: Der mit der Brille spielt jeweils das Leadinstrument, was gottseidank nie ausartet in minutenlanges. ekstatisches Sologetröte, sondern immer im Rahmen britischen Understatements bleibt und den kompakten, geschlossenen Charakter der Musik eher noch betont.
Nach der Pause gesellt sich dann der "Star" des Abends zu der sympathisch lockeren Londoner Truppe: "Moondog" gibt fortan mit seiner großen Baßtrommel und Schellen den Ton an, treibt die Saxophonisten mit absolut präzis geschlagenen Achteln wie ein indianischer Vortrommler vorwärts oder gibt mit sparsamen Gesten den Einsatz bei seinen oft sehr kompliziert strukturierten Stücken wie einem neunstimmigen Kanon, einem "Wiener Walzer" im 5/4-Takt oder der "EEC"-Suite, einer Komposition, die auf eben diesen drei Noten beruht. Dabei zeigt sich "Moondog", der eigentlich Louis Hardin heißt, mit 16 Jahren erblindet, später als der "letzte Wikinger" mit Helm, Speer und Trommel an einer Straßenecke in Manhattan steht und dort Gedichte rezitiert, dabei die Bekanntschaft mit Charlie Parker oder Benny Goodman macht, eines Tages verschwindet und in Deutschland wieder zum Vorschein kommt, als eiserner Verfechter der Tonalität und strenger, klassischer Kompositionsprinzipien. Auf diese Weise beschert er den Zuhörern eine Fülle schöner Melodien, die jedoch nie kitschig, sondern dank der intelligenten kompositorischen Struktur immer aufregend, spannend und, trotz der klassischen Strenge im Aufbau, eigentümlich kindlich verspielt wirken. Dazu zählen auch so ohrwurmverdächtige Stücke wie "Paris, Paris", das mit seinen unerwarteten Gesangseinlagen beim Publikum Heiterkeitsausbrüche auslöst, oder "New Amsterdam", eine Liebeserklärung des früheren obdachlosen "Wikingers" an New York.
Dementsprechend groß ist natürlich die Entrüstung im Publikum, als das Konzert schon nach rund zweieinhalb Stunden zu Ende sein soll. Es erklatscht sich eine Zugabe und dann noch eine: "Moondog" und die "London Saxophonic" spielen noch einmal "Bird's Lament", das wohl beeindruckendste Stück des Abends, eine Erinnerung an Charlie Parker, der "Moondog" einmal an seiner Straßenecke ansprach und meinte, man müsse unbedingt etwas gemeinsam machen. Bevor es jedoch dazu kam, war Charlie Parker tot.