Moondog's Corner Main Page


aus / from: Sounds 5 (1974)

Interwiew mit Hans-Joachim Krüger

Moondogs Odyssee:

Europäer im Exil


Als ich Moondog - sein Familienname ist Louis Hardin - Anfang März zum erstenmal gegenübersaß, war mir, außer Zweiterhand-Informationen, die im Laufe der Jahre hängengeblieben waren, herzlich wenig über ihn bekannt: Er ist seit früher Kindheit blind, Ende fünfzig und vielen New Yorkern wie auch fremden Touristen geläufig als der bärtige, freundliche Mann, der vorübergehende Passanten unversehens in Gespräche - welcher Art auch immer - verwickelt. Das macht er seit mehr als zwanzig Jahren und eben deshalb braucht er die Stadt, versichert er in einem späteren Gespräch, als Stimulanz und tägliche Verbindung zur Außenwelt:

Considered Independently, The City Is A Curse, And Only Seems A Blessing When Compared With Something Worse.

Seitdem (Anfang der 50er Jahre) sind etwa ein halbes Dutzend (oder mehr) Platten von ihm erschienen, die wohl bekanntesten Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre auf CBS. Die Hippie-Bewegung in Amerika hatte längst ihren Kulminationspunkt durchlaufen; für die Plattenindustrie war dies die Ausverkaufs-Saison einer glanzvollen musikalischen Ära. Bedenkenlos wurden seine Alben in der damaligen "Sound Of The Seventies" resp. "Fill Your Head With Rock"-Kampagne registriert, frei nach dem Motto: je fremdartiger der Stil (ob musikalisch oder rein äußerlich), desto verkaufsträchtiger die Chancen, denn der "Untergrund" ist groß und für vieles empfänglich. Sein sublimes Äußeres hatte etwas von der Aura eines Stammvater der Hippie-Bewegung, zweifellos forciert durch den Werbeeinfluß der Plattenfirma, die seine von der Struktur klassischen Kompositionen inmitten zugkräftiger Rock-Produkte lanciert hatte.

Ende Januar gab der Musiker, Komponist und Dirigent Moondog zwei Konzerte im Frankfurter Raum, das eine in der Peterskirche zu Weinheim mit dem bekannten Bach-Interpreten Paul Jordan an der Orgel, das andere mit einem Orchester mittlerer Größe und den Rosy Singers anläßlich eines Funkkonzertes beim Hessischen Rundfunk. Das Spektrum der öffentlichen Meinung schien hierbei ziemlich weit auseinanderzugehen. So sprach ein Mitarbeiter der Rundfunkanstalt, den ich unmittelbar nach dem Funkkonzert um fernmündliche Stellungnahme bat, von einer Katastrophe, während die Gruppe Kraftwerk, die im gleichen Programm auftrat, und andere zur Sache Befragte von einem außergewöhnlichen Erlebnis berichteten, was mir - rein gefühlsmäßig - glaubwürdiger erscheint.

Nach längerer Irrfahrt durch Deutschland mit Stationen in Westfalen und Hannover lebt Moondog nun seit mehreren Wochen in Hamburg, seinem vorläufigen Endziel. Irgendwann Mitte April wird seine Aufenthaltsgenehmigung ablaufen, und sollten bis dahin Veranstalter, (Buch-) Verleger oder Schallplattenfirmen an seinen Werken kein Interesse gezeigt haben, wird er sich auf eine baldige Rückkehr nach Amerika vorbereiten müssen. Resignation klingt bei ihm durch, wenn er darauf zu sprechen kommt. Deutschland ist für ihn "Das Heilige Land mit dem heiligen Fluß", dem Rhein, wie er sagt. Es ist überdies die Heimat der großen, klassischen Komponisten gewesen, die ihm so lange verschlossen war, weil nur vom Hörensagen bekannt. Und nun, da die Möglichkeit gegeben ist, sich intensiver damit zu beschäftigen, wird er voraussichtlich an der Paragraphenlust hiesiger Behörden scheitern. In Kenntnis dieser Umstände meidet er heute ein Thema, das ihn anfangs noch ziemlich stark zu bewegen schien, sich hierzulande - möglicherweise im süddeutschen Raum - für immer niederzulassen. Mittlerweile ist ihm klar, daß dies nur möglich ist, wenn entweder über sofortige Platteneinspielungen entschieden wird - was bei der momentanen Entscheidungsfreudigkeit im Plattengeschäft illusorisch ist - oder wenn sich Buchverleger für seine literarischen Ausarbeitungen interessiert zeigen. Eigens hierfür hatte er in Hamburg ein Prospekt entworfen, in dem er auf die Notwendigkeit eines Deutsch-Englisch-Saxischen Lexikons verweist (Sax ist phonetisches Englisch, das so aussieht wie es klingt und so klingt wie es aussieht) - gedacht als Erleichterung beim Erlernen der englischen Sprache speziell für Deutschsprechende. Sprachentwicklung und Analyse ist eins der Hauptthemen, das ihn neben Musik und Poesie am meisten beschäftigt. Auf dieses Thema angesprochen, gibt er, anhand zahlreicher Beispiele, Auskunft über Ursprung und allmähliche Verformung von Worten, die im Altertum durch martialische Einwirkungen verschiedener Völker Sprachentwicklungen durchgemacht haben. Als ich Moondog fragte, ob er für ein Interview bereit sei, stellte er die Gegenfrage mit skeptischem Unterton, wie ernst mir dieses Anliegen sei, denn erfahrungsgemäß werden acht von zehn Geschichten (über ihn) nicht abgedruckt.


S.: Du bist Mitte Januar, ursprünglich für nur zwei Konzerte, nach Deutschland gekommen. Inzwischen hat sich jedoch dein Aufenthalt auf mehr als zwei Monate ausgedehnt.

M.: Ich kam mit einem Organisten namens Paul Jordan nach Deutschland. Zusammen haben wir ein Konzert unter dem Titel "Bach, Moondog & Bach" in der Peterskirche in Weinheim gegeben. Und kurz darauf war ich zu Gast beim Hessischen Rundfunk im Rahmen eines öffentlichen Konzertes. Man hatte eigens dafür ein 21-köpfiges Orchester engagiert sowie die Rosy Singers, die einige meiner Madrigals sangen.

S.: Beabsichtigst du vorerst hier zu bleiben?

M.: Das ist noch ungewiß. Ich habe, als ich nach Deutschland kam, meinen Paß verloren, und der Notpaß, den mir die amerikanische Botschaft ausstellte, gilt nur bis Ende März. Außerdem wird meine Aufenthaltsgenehmigung Mitte April auslaufen.

S.: Vielleicht kann man eine Verlängerung beantragen, wenn ein Konzert o. ä. in Aussicht steht.

M.: Ich habe ein Angebot für ein Konzert in der Fabrik am 10. Mai. Wenn ich nicht bleiben darf, muß ich leider absagen. Sollte man jedoch einem Verlängerungsantrag stattgeben, werde ich den Termin wahrnehmen, vorausgesetzt, ich finde die geeigneten Musiker.

S.: Du hast, glaube ich, sehr früh mit Musik-Studien, hauptsächlich auf dem Gebiet der Klassik, begonnen. Kann man etwas darüber erfahren?

M.: Ich habe 1932, mit 16 Jahren, mein Augenlicht verloren, als ich versehentlich eine Spengstoffkapsel berührte. Später hatte ich Gelegenheit, an der Blindenschule in Iowa klassische Musik zu studieren. Ich sang im Chor, spielte in einem Streichquartett und beschäftigte mich mit Musiktheorie und den verschiedenen Aspekten der Orchestrierung, des Arrangements usw. In dieser Zeit manifestierte sich bei mir der Wunsch, Komponist zu werden. 1943 kam ich nach New York, aber die ersten Plattenaufnahmen folgten erst sieben Jahre später, damals noch auf 78. Ich habe dann mehrere LPs eingespielt, machte Radio, Fernseh- und Filmaufnahmen und gab einige Konzerte. 1956 kaufte ich mir außerhalb von New York ein wenig Land, bin aber nach wie vor die meiste Zeit in der Stadt zu Hause. 1969 wurde für CBS das Orchesteralbum fertig (mit 55-köpfigem Orchester, von James William Guercio produziert), und zwei Jahre darauf folgte für die gleiche Firma das Madrigal-Album (mit 25 Madrigals).

S.: Du hast außerdem eine Platte in den Straßen New Yorks gemacht ... ?

M.: Das war 1953 auf Mars Records.

S.: Waren die ersten Platten von der Struktur auch schon klassisch orientiert?

M.: Ja, obwohl ich später auch einige Jazz-Titel verarbeitet habe - auf dem Orchesteralbum - allerdings nach klassischem Muster. Aber es klingt trotzdem wie Jazz.

S.: Ist es ein klassisches Grundmuster, vermengt mit amerikanischer Rhythmik?

M.: Ich bin nicht sicher, ob der Jazz in Amerika verwurzelt ist, obgleich diese Meinung von vielen Leuten vertreten wird. Natürlich habe ich diese Musik seit frühester Kindheit gehört, was sicher nicht ohne Einfluß geblieben ist. Also habe ich mir vorgenommen, auch Jazz-Themen zu schreiben. Aber eigentlich bevorzuge ich die europäische (Musik)-Tradition.

S.: Du hast dich einmal als Europäer im Exil bezeichnet. Was ist damit gemeint?

M.: Die Familie meiner Mutter kommt aus Deutschland, und die meines Vaters aus Skandinavien. Aufgrunddessen war mein Interesse an Europa, insbesondere an der europäischen Geschichte, immer außergewöhnlich groß. Verbunden damit war bei mir in den letzten 20 Jahren der Wunsch, Europa zu besuchen, was im Grunde erst durch das Frankfurter Konzert möglich geworden ist.

S.: Welcher Art Erlebnis ist für dich der erste Europa-Trip? Ein historisches ...?

M.: In erster Linie ja, obwohl ich bislang nur wenige historische Stätten besuchen konnte. Wir waren im Teutoburger Wald, wo die Schlacht mit den Römern ausgetragen wurde; außerdem waren wir in der Nähe von Lüneburg, im Wendenland ... ?

S.: Im Wendland.

M.: So ist es. Dort wurden archäologische Ausgrabungen vorgenommen, und ich stand auf einem Hügel, wo vor ungefähr 1500 ein Dorf der Langobarden gelegen war. Das war ein herrliches Gefühl. Allerdings würde ich auch gern andere Stätten besuchen.

S.: Also sind für dich die historischen Aspekte (Europas) von sehr großer Bedeutung?

M.: Ich habe mich ausgiebig mit den Eddas beschäftigt, der sogenannten Mythologie der Gothen ...

S.: Hast du, um auf die Musik zurückzukommen, hier in Europa auch neue Kompositionen geschrieben?

M.: Ich habe in Frankfurt und Weinheim je ein Stück für Orgel und in Hannover ein neues Madrigal komponiert.

S.: Würdest du erläutern, wie die neuen Stücke entstehen? Im Beitext zur Orchester-LP war von einem "intracting-process" die Rede.

M.: "Intracting" ist das Gegenteil von "extracting" (extrahieren). Du hast beispielsweise eine Partitur mit den verschiedenen Instrumenten. Cello, Baß, Violine usw. Und um eine Einzelstimme bzw. Instrument herauszuschreiben, mußt du eins nach dem anderen extrahieren. Aber ich habe bzw. schreibe keine Partituren, sondern nur die Einzelinstrumente, weil ich die Partituren zu den jeweiligen Einzelstimmen oder Instrumenten ohnehin im Kopf habe. Deshalb nenne ich es "intracting".

S.: Das impliziert aber, daß die Einzelteile nur von dir zusammengefügt werden können.

M.: Ich dirigiere ohne Partitur.

S.: Dirigierst du ausschließlich, oder spielst du auch irgendwelche Instrumente?

M.: Am liebsten schreibe ich. Wenn ich ein großes Orchester zur Verfügung habe, dirigiere ich auch. Ansonsten spiele ich eigentlich kaum Instrumente, außer einer dreieckigen Trommel, die ich selbst entworfen habe. Aber ich möchte noch hinzufügen, daß gewisse Teile meiner Musik ziemlich schwierig sind, und wenn niemand den Taktschlag hielte, würde sie auseinanderfallen; deshalb dirigiere ich, und ich mache es gerne.


The Sword Of Damocles Is Hanging Over All Of Us. In View Of That What Subject Can We Sensibly Discuss?

Moondog Platten:
MS 7335 DM 20,-
KC 30897 DM 20,-
Bestellungen nimmt entgegen (falls nicht gerade vergriffen)
Matthias Kern
3001 Engelbostel (Hannover)
Kreuzwippe 17
Tel: (0511)731401

Hans-Joachim Krüger